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Aus dem Unterricht

Auch wenn es nicht jeden Tag passiert, so haben wir an unserer Schule doch hin und wieder das Glück, bei unserer Arbeit kleine und große Talente zu entdecken, über die wir nur staunen können. Oft beklagen wir dann den Umstand, dass wir viel zu selten die Möglichkeit haben, der Schulgemeinde von unseren Entdeckungen berichten zu können. Daher freuen wir uns ganz besonders, nachfolgenden Text an dieser Stelle präsentieren zu können, in der Hoffnung, dass ein solches Unterrichtsergebnis auch anderen Mut macht, sich auszuprobieren und eigene Ideen umzusetzen und mitzuteilen.

 

Eine Lügengeschichte
von Ben Wirges, Kl. 6b

Alles begann in einer meiner exzellenten Deutschstunden. Ich erklärte gerade die Kriterien einer Lügengeschichte, als plötzlich der Sportbeutel eines kleinen, schüchternen Schülers in der dritten Reihe auf entsetzliche Größe anschwoll und mit einem lauten Knall explodierte.

Die Klasse und ich hatten die Situation erschreckt beobachtet. Verwunderlich war, dass keine Überreste des Turnbeutels auf dem Boden verstreut lagen.

Von dem Ort des Geschehens ausgehend, ertönte unvermittelt ein Summen, dessen fürchterlichen Klang zu beschreiben mir unmöglich ist. Das Summen verbreitete sich rasend, und mein scharfer Verstand erfasste sofort, dass es, wo es auch hinkam, Schaden anrichten würde.

Jeder andere wäre an meiner Stelle wie versteinert gewesen und hätte keinen klaren Gedanken fassen können, doch meine Einzigartigkeit erlaubte es mir bereits jetzt, an einem heldenhaften Rettungsplan zu feilen. Darin wurde ich doch jäh unterbrochen, und mir läuft es heute noch kalt den Rücken herunter, wenn ich an die darauf folgenden unfassbaren Dinge denke, die mir nun widerfuhren.

Sie werden es mir nicht glauben, meine werten Herren, aber es ist wahrhaftig so passiert, wie ich es Ihnen nun schildern werde. Plötzlich wuchsen dem Schüler Manuel Flossen, Schuppen, ja, zu einem richtigen Fisch wurde er, der nun zappelnd auf dem Boden umher glitt. Dies alles geschah in so wenigen Augenblicken, dass es ohne irgendeine wahrhaft göttliche Tat bald die ganze Klasse erwischt haben würde. Wie ein geölter Blitz schoss ich zum Waschbeckenschrank, zog den Besen heraus, eilte zu den Fenstern und riss eine Gardine von der Halterung. Mit diesen wirklich kläglichen Waffen rannte ich zu der Tischgruppe, an der das Summen zuletzt seine dämonische Macht ausgeübt hatte. Jetzt sah ich auch, welche teuflische Gestalt dieses böse Wesen angenommen hatte. Ein Flimmern in der Luft flog mal hierhin, mal dorthin und gab fortwährend dieses absurde Summen von sich.

So unglaublich diese Geschichte auch klingen mag, mich soll der Blitz treffen, wenn ich lüge, und ich hoffe, dass zumindest der Großteil von Ihnen an der Wahrheit meines Abenteuers nicht zweifeln wird.

Durch die Dominanz meiner Anwesenheit wurde die bösartige Kreatur plötzlich meiner gewahr und wandte sich blitzartig um. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, brachte ich mich mit meinem Besen in Kampfstellung. Das Summen wandelte sich nun zu einem noch eigenartigeren Klang, der mich entfernt an ein Lachen erinnerte. Ich war zuversichtlich, durch meine besondere Geschicklichkeit und Voraussicht eine Chance gegen dieses Ungeheuer zu haben, obgleich meine Waffen doch recht kläglich waren.

Nun begann der grandiose Kampf. Besser als jeder Recke focht ich mit dem Dämon. Dieser wehrte sich jedoch kräftig und schwirrte immer wieder wie ein wütendes Insekt auf mich zu. Ich gewann jedoch bald die Oberhand. Durch eine geschickte Finte gelang mir ein präziser Schlag mitten durch die unwirkliche Gestalt. Dieser perfekte Hieb brachte sie zum Taumeln und machte sie für einen winzigen Augenblick kampfunfähig.

Wie Sie aus meinen letzten Worten gewiss schließen können, ergriff ich diese Gelegenheit und warf meine Gardine schwungvoll über das Ungeheuer. Dieses verfing sich darin wie in einem Netz. Sogleich riss ich das Fenster auf, packte das Biest und warf es mitsamt dem Vorhang hinaus. Wie ein Sack Zement klatschte es auf dem Schulhof auf.

Man hörte ein Knallen, wie es zu vernehmen ist, wenn ein Luftballon platzt. Jetzt verwandelte sich Manuel langsam wieder zurück in einen Menschen, und meine trainierte Auffassungsgabe schloss daraus, dass die Macht des Zauberwesens nun endgültig gebrochen war.

Die Schüler hatten das unglaubliche Geschehen staunend verfolgt, doch jetzt wich ihr Erstaunen einer ehrfürchtigen Bewunderung.

Jubelnd stürmten sie auf mich zu, trugen mich auf den Schultern und warfen mich dreimal hoch in die Luft.

Seitdem wird jedes Jahr ein Jubiläumstag zu meinen Ehren begangen, an dem mein heldenhafter Sieg gefeiert wird.

Und wenn Sie nicht zu den dreisten Personen gehören, die diese Geschichte für ein Lügenmärchen halten, können Sie im nächsten Jahr gerne an meinem Ehrentag dabei sein, falls ich nicht verhindert bin, um den Nobelpreis oder sonstige Ehrenauszeichnungen entgegen zu nehmen.